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Bestimmt haben die radikalen Anarcho-Umweltschützer der „Monkeywrench“-Gruppe Earth First! in ihren Anfängen weder davon geträumt, noch ernsthafte Absichten gehabt, Jahrzehnte später einmal als Lehrpersonal zwischen den Hörsälen und Umweltzentren dieser Welt hin- und herzupendeln. Tatsache ist jedoch, dass viele der einstigen Saboteure und Systemkritiker heute zu den angesehensten und am liebsten gehörten Stimmen im Kanon der Intellektuellen für mehr Umweltschutz und gegen Konzernherrschaft, Raubbau und andere Vergehen gegen die Natur gehören.

Kurzhistorie einer radikalen Bewegung

Earth First! - das ist nicht nur Name sondern auch Programm der radikalen Umweltfront, die 1980 im Südwesten der USA gegründet wurde. Das Ausrufezeichen gehört dabei ebenso zur Ausstattung wie das Logo der geballten Faust und der exklamatorische, ja pathetische Impetus der Gemeinschaft, – die nicht nur mit ihrem alternativen Lebensstil, sondern auch und besonders mit ihren außergewöhnlichen und kontroversen, teils gefährlichen, teils aggressiven, immer jedoch keinen Einsatzpreis scheuenden Aktivitäten und Taktiken landes- ja weltweit von sich reden machte.

Ihre Aktionen übertrafen in ihrer Radikalität die der 1971 gegründeten, heute wesentlich bekannteren Organisation mit Hauptsitz in Amsterdam: Earth First!s ziviler Ungehoram schloss öffentliche Proteste und die Blockaden von Transportrouten der Holzindustrie ein, sie eroberten und besetzten Industriebüros und offizielle Regierungsstellen, organisierten heimliche Sabotageoperationen von in ihren Augen umweltgefährdenden Vorhaben, und auch vor Brandstiftung schreckten sie nicht zurück.

„Und alles im Namen von Erde“, deren Wohlergehen die Bewegung durch die anthropozentrische Sicht- und Denkweise besonders der westlichen Industrienationen gefährdet sah. Daher lautete auch das Motto: „No compromise in defense of mother earth!“ (Keine Kompromisse beim Schutz von Mutter Erde! sd.). Für die Umweltaktivisten von Earth First! kam die Erde zuerst: Sie wollten den westlich-anthropozentrischen Pfad der Naturunterwerfung und -ausbeutung verlassen und stattdessen eine bio- und ökozentrische Sichtweise etablieren, in der die Natur und darin jedes Ökosystem und jedes Lebewesen seinen eigenen Platz und intrinsischen Wert besitzt, unabhängig davon, ob die Menschen ihnen einen Nutzen beimessen oder nicht.

Auch die spätere, noch radikalere Abspaltung, die Earth Liberation Front, kurz: ELF, die 1992 im Vereinigten Königreich entstand, bald jedoch auch wieder nach Amerika überschwappte, sah Sabotage und zivilen Ungehorsam als Mittel der wirtschaftlichen Kriegsführung an, um die Naturzerstörer an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen und ihre Unternehmungen unprofitabel werden zu lassen. Die ELF-Aktivisten nannten sich selbst Elfen (elves) und unterstrichen damit ihre Bezugnahme auf heidnische Narrative: Sie verstanden sich als die Erde verteidigende Naturgeister und griffen forstwirtschaftliche Stellen an, belagerten Skiressorts, die gefährdeten Arten zusetzten, drangen in Laboratorien ein, in denen genetische Experimente stattfanden, und attackierten SUVs, (seinerzeit vor allem in Amerika fahrende) riesige Sportfahrzeuge mit enormem Energieverbrauch.

Beindruckend wie die Vielfalt der Aktivitäten ist auch die thematische Diversität der Anliegen: vom Einsatz zum Erhalt der Biodiversität und zum Schutz von Lebensräumen und ökologischen Systemen zur Kritik an genetischer Manipulation und Biotechnologie: Earth First! beschäftigte sich mit allem, was die Selbstläufer- und Selbstheilungsmechanismen der Natur gefährden kann. Konsumismus, Bergbau, Landraub, das Delfingemetzel in Japan, der Wolfsbestand in Montana, die Seehundjagd in Canada und die Waljagd in Island sind genauso Thema wie der globale Krieg um die Ressource „Wasser“ und gegen Privatisierung; Waldschutz, Rassismus, Ökofeminismus und vieles mehr werden leidenschaftlich diskutiert. Es wird sich mit den Taten anderer Bewegungen auseinandergesetzt und man hilft festgenommenen Aktivisten radikalerer Ableger durch legalen Beistand oder Unterstützung im Gefängnis (wie beispielsweise eingesperrten Mitgliedern der Animal Liberation Front).

Inspiration und Wertesystem

Als Earth First!s bedeutendste Inspirationsquelle gilt der amerikanische Schriftsteller Edward Abbey, der besonders in seinen Büchern „Desert Solitaire“ und „The Monkeywrench Gang“ Charaktere und Szenarien beschreibt, die in und rund um die Earth First!-Bewegung ihre Entsprechung und Nachahmung fanden: Es geht um mystische Erfahrungen und Begegnungen in und mit der Natur sowie Ökosaboteure, die ein totalitäres, gieriges Industriesystem bekämpfen – zur Not mit den äußersten Mitteln.

Doch auch wenn ein großer Teil der ELF und viele Akteure von Earth First! mit aggressivem Nachdruck und anarchistischer Gesinnung daran arbeitete, die westlichen Industrienationen und ihr als antinatürlich verstandenes christliches Leitbild zu Fall zu bringen: Die meisten wollten vor allem ökologische Habitate und Systeme schützen und die biologische Vielfalt erhalten.

Ihr Wertesystem speiste sich dabei besonders aus den Vorstellungen und Bildern heidnischer und pantheistischer Kulturen, denen die Natur heilig war und die nachhaltigere und die Umwelt schonendere Lebenspraktiken unterhielten. Alles Leben wurde als verbunden betrachtet, da es sich aus dem gleichen Ursprung, denselben Einzellern heraus entwickelt hat, – die gesamte Biosphäre und ihre Lebensformen galten als heilig. Da das Christentum der heidnischen, matriarchalisch-naturverbundenen Lebensweise ein Ende bereitet hatte, verurteilten es die Umweltaktivisten von Earth First!: Der christliche Glaube, so die Ansicht, hat der Natur ihre Heiligkeit abgesprochen und diese von der Erde in den Himmel verlegt. Unter seiner Ideologie beuten profitorientierte Konzerne und eine von ihren Repräsentanten unterwanderte Regierung mithilfe der modernen Wissenschaft und Technologie die Natur und ihre Ressourcen bis zur Neige aus und verursachen so die über kurz oder lang drohende Umweltapokalypse planetaren Ausmaßes.

Auch die Tiefenökologie (Deep Ecology) von Arne Naess spielte für Earth First! eine große Rolle: Der norwegische Philosoph kritisierte die „seichte“ anthropozentrische Ethik vieler Umweltschützer und wollte eine biozentrische Sicht auf eine intrinsisch wertvolle Natur begründen. Vor allem Naess' spirituell-mystische Naturerfahrungen erschienen vielen Earth First!ern der ersten Stunde nachlebenswert, seine Philosophie setzte am Ideal einer erweiterten Selbstverwirklichung an: Das eigene Selbst sollte aufgeweitet und die Natur mit einbezogen werden.

Charismatische Figuren wie der Mitgründer und Earth First!-Anführer Dave Forman und Künstler, Musiker und Kreative waren für die Artikulation und Verbreitung der Earth First!-Mentalität verantwortlich: In sogenannten „Road Shows“, in denen z.B. Bekehrungsgeschichten die Runde machten, in „Wilderness Gatherings“, in denen Dichter und Musiker ihre Werke und erdbezogene religiöse Rituale performten, und im berühmtesten Event, dem „Council of all Beings“ („Rat aller Lebewesen“, sd), wo Anwesende die Identität anderer Lebewesen annehmen und ausleben konnten, befruchteten sich zeitgenössische Naturreligionen und New-Age-Rituale gegenseitig.

Bron Taylor zufolge, dem eifrigsten Analytiker von Earth First!, könnte die Bewegung auch durchaus den Namen „Heidnische Umweltbewegung“ tragen. Taylor deutet Earth First! religionsgeschichtlich als weiterentwickelte Glaubens- und Weltdeutungsform. So legt er dar, wie sich die Annahme der Umweltschützer, die Umwelt gehe zugrunde, erstmals nach umweltwissenschaftlichen Untersuchungen und Resultaten richtet, und führt als ein Beispiel, das die Wissenschaft als religiöse Quelle benützt, Lovelocks und Margulis' „Gaia-Hypothese“ an. Nach Taylors Erachten liegt die herausragende Bedeutung der Earth First!-Bewegung gerade in ihrer Fähigkeit, neue Narrative zu begründen: Indem sie wissenschaftliche Geschichten der Evolution von Universum und Biosphäre „heiligt“ und sie so in neue Mythen und Geschichten verwandelt, die die Verteidigung der Erde zeitgemäß einfordern und fördern.

Diese Ansicht teilt er mit James John Bell, der feststellt: „Movements make their own myths, some create gods, others overthrow them. Those movements that succeed become legend, and their mythos becomes the lens of society, an inseparable and ubiquitous part of future generations.“1 („Bewegungen schaffen ihre eigenen Mythen, manche erschaffen Götter, andere stürzen sie. Bewegungen, die erfolgreich sind, werden zur Legende, und ihr Mythos wird zum Objektiv der Gesellschaft, ein untrennbarer und allgegenwärtiger Bestandtteil künftiger Generationen.“ sd)

Mit der Fähigkeit, neue Narrative zu stricken und diese in die Welt zu tragen, gelang es der Earth First-Bewegung zur Legende zu werden und auch die anderen, breiteren Umweltbewegungen zu beeinflussen: Der Terminus der Biodiversität und ihre Bedeutung wurden durch Earth First! erst salonfähig und viele Mainstreamgruppen entwickelten – nicht zuletzt in Reaktion auf und in der Auseinandersetzung mit Earth First! – auch selbst stärkere Positionen. So wirkten die Überzeugungen und die Kämpfe der radikalen Umweltschützer von Earth First! sich letztlich auf Umwegen auch auf die Umweltgesetzgebung und den Mainstream aus, der dadurch mehr Aufwind und Macht erhielt.

Earth First! Journal: ein Organ, viele Stimmen

Das Magazin Earth First! The Radical Environmental Journal wurde ebenfalls in den Anfängen der Bewegung geboren: Die Schrift erschien erstmalig im Herbst 1980 und seitdem vierteljährlich, – und von Anfang an wurde um den Auftrag des Journals gestritten. Sollte es der Bekanntmachung interner Diskussionen und dem Austausch mit externen Impulsgebern dienen oder v.a. der Positionierung innerhalb der Bewegung und (lange vor Facebook-Zeiten) der Strategiebesprechung?

In den ersten Jahren fühlten sich viele verschiedene, teils schräge Typen zur Earth First!-Bewegung hingezogen („Proletarier und Heiden, Feministen und Chauvinisten, Hippies und Anarchisten, Aktivisten für soziale Gerechtigkeit und Misanthropen, Ökologen und Kritiker der modernen Wissenschaft“ – Bron Taylor), doch der Mitgründer der Bewegung und Hauptherausgeber des Journals, Dave Foreman, führte ein machohaftes Regiment. Nach einigen Jahren und im Laufe vieler Aktionen und Kampagnen sowie infolge einigen internen Gerangels wurden neue Positionen bezüglich der Themen anarchistische Gesinnung, Sexismus und Feminismus, die hierarchischen Strukturen der Bewegung und ihre Öffnung hin zu einer breiteren Themenvielfalt austariert.

Die Vierteljahresschrift zu lesen verschafft Bron Taylor zufolge gute Einblicke in die „politischen und spirituellen Dimensionen, Kampagnen, Erfolge und Niederlagen, Diversität, Diskussionen und Spaltungen (der Bewegung) und bietet ein Fenster zu den Reaktionen und Antworten ihrer Gegner und der Staatsgewalt.“2

Earth First! selbst als Inspirationsquelle

Warum ich hier an Earth First! erinnere? Weil ich die Bewegung verdammt interessant und inspirierend finde: Sie verbindet Utopie und Anarchismus, Moral und zivilen Ungehorsam und stellt alles in den Dienst an einer guten Sache. Die Aktivisten, Engagierten und Kreativen schaffen Glaubensinhalte und Diskussionsstoff für das Nachdenken über unsere Lebensgrundlagen, lebensweltliche wie soziale Ressourcen und Strukturen, sowie unseren menschlichen Umgang mit nichtmenschlichem Leben.

Und last, but noch least: Ich hatte das Glück, die Verantwortung über das Projekt der Digitalisierung und Onlinestellung des Earth First! Journals von der ersten, auf der Schreibmaschine getippten Ausgabe bis zu 32. Ausgabe zu tragen, nachdem Bron Taylor, der unermüdliche Erinnerer und Deuter der Earth First!-Bewegung sein gesamtes Printarchiv dem Rachel Carson Center, also meinem werten Arbeitgeber, als Schenkung vermacht hatte: Bei der Arbeit am Earth First! Journal erkannte ich mehr und mehr, dass wir viel von den radikalen Aktivisten und Wortführern der Bewegung lernen können: Beeindruckend sind die Nonchalance und der Eifer ihres Engagements, ihr Schneid Obrigkeiten gegenüber, gegen das Establishment auf- und für das Ziel „Rettung der Natur“ einzustehen, ihre Zivilcourage bei der Bemühung, einander sowie andere Lebensformen zu beschützen, und sei es mit dem eigenen Leben.

Und tatsächlich ließen etliche EF!-Mitglieder ihr Leben oder wurden an Leib und Leben bedroht, beispielsweise Craig Walter Beneville, der beim Einsatz in einem Wildnishabitat sein Leben ließ, oder Judy Bari und Darryl Cherney, die als prominenteste Figuren der EF!-Kampagne gegen die Abholzung der uralten Mammutbäume in Nordkalifornien beinahe einem Bombenattentat zum Opfer fielen, oder David Chain, der im Rahmen einer Aktion gegen die Forstindustrie von einem „Redwood“, einem riesigen Mammutbaum erschlagen wurde, gefällt von der Holzfirma Pacific Lumber trotzdem ihr bekannt war, dass sich auf dem unwegsamen Gelände Aktivisten aufhielten.

Schneid ist es, was den meisten Menschen heute fehlt: Duckmäusertum und Desinteresse haben ihre feste Wohnstatt in den Herzen der Menschen. Angst: Vor der Statusdegradierung und vor dem gesellschaftlichen Abstieg, vor der Armut. Vor der Bloßstellung und der Zurückweisung, vor der Einsamkeit, vor der Kälte des Anderen. Aber auch: Angst vor der Fremdbestimmung. Das polare Gegengewicht zur Angst ist aber nicht Mut, sondern Liebe. Die Aktivisten von Earth First! lieben die Erde und alle ihre natürlichen Erscheinungen. Für sie kommt die Erde, die uns trägt und hält, an erster Stelle: Durchaus rational und vernünftig, kaum emotionsvernebelt und head-over-heels, wenn man nüchtern bedenkt, dass sie ja immerhin unsere Lebensgrundlage darstellt. Sicher waren die Earth First!-Aktivisten auch noch von den Blumenkindern inspiriert, aber aus friedlichem Protest war analog zur wachsenden Aggressivität im Vorgehen der extraktivistischen Industrie schon „Ecotage“ geworden: das Zusammenspiel aus Sabotage, zivilem Ungehorsam, ja Ökoterrorismus (ecoterrorism) – es führte zur „ökologischen Verteidigung“ (ecodefense).

Um mein Interesse für die EF!-Crew und ihre Arbeit in Wort und Tat klarer zu machen, habe ich ein paar Preziosen aus verschiedenen Ausgaben des EF!-Journals herausgepickt und übersetzt. Sie veranschaulichen gut die Bandbreite der Themen, die behandelt werden, und repräsentieren die Vielfalt der Aktivisten und Wortführer. Die Sprache, die sie sprechen, ist eine ehrliche, manchmal pathetische, manchmal einfache, immer jedoch direkte, ohne Umschweife und geradeheraus, die die Schwächen und Krankheiten eines überholten Systems benennt, ohne im Verhüllungsmodus eigener Interessen Sachlagen zu verunklaren. Diese Sprache steht unseren populären und medialen Gewohnheiten entgegen; ihrer Schwere und Treffsicherheit, Unumwundenheit und Redlichkeit ist es zu verdanken, dass die Bewegung solchen Erfolg hatte und so inspirierend war und auch heute noch ist.

Ich spreche mich mit Earth First! dafür aus, dass das Pathos, nicht nur reduziert auf den Rahmen sozialer oder ökologischer Bewegungen, eine Rehabilitierung verdient hat. Echtes Pathos, authentisches Gefühl. Wohl mögen Marketing und Propaganda es noch missbraucht haben und tun es zumeist heute noch (obzwar in beiden Protzbereichen Euphemismen und zuweilen gar Lügen noch größere Anwendung finden). Aber ich vertraue darauf, dass wir inzwischen – nun doch auch schon seit einigen Jahrzehnten marketinggeprüft und -gebrannt – den schrillen Marketingpathos und die Gelegenheiten bei denen er zum Einsatz kommt, viel besser vom ernstgemeinten, redlichen, authentisch empfundenen Moment unterscheiden können, in dem Emphase und Gefühl angesagt sind. Denn das Ausmerzen und Geringschätzen des Pathos im alltäglichen Kommunizieren hat uns keine geringeren Übel beschert, als die übermäßige Versachlichung (ja: bürokratische Kälte!) und allseitige, objektive Bewertung – in kapitalistischen Umständen wie den herrschenden also: die ausschließlich finanzielle Belabelung.

Darüber hinaus hat es uns auch noch die Verarmung im emotionalen Ausdruck beschert. Wir haben das Gefühl – die emotionale Antizipation und Reaktion – in einige Bereiche des Lebens verbannt und halten sie dort „in Quarantäne“: in der Werbung, im Sport, in der Kunst. Doch das sind alles Bereiche, die mit dem alltäglichen, existenziellen, zwischenmenschlich-sozialen Leben der meisten Menschen nur bedingt oder gar nicht deckungsgleich sind (ich denke jetzt eben nicht an Maßnahmen zur Freizeitgestaltung). Und es sind Bereiche (so man nicht im Marketing arbeitet, Sportler oder Künstler ist), die zum Zuschauen, zum Rezipieren verdammen und verführen.

Earth First! und andere Bewegungen sind gute Beispiele für das Kant'sche „Sapere aude!“, die gesellschaftliche Selbstermächtigung und die erkenntnistheoretische Emanzipation – denn diese Menschengruppe beschäftigt sich mit den ihr wichtigen Themen. Aber auch für ein wieder ernster zu nehmendes „Sentire aude!“, denn Gefühle nicht zu empfinden und emotional keine Entwicklungssprünge zu machen, kann sich eine Gesellschaft von heute nicht leisten. Das Hamsterrad ewiger Leistungsanforderung und die omnirelevante, unidirektionale Selbstoptimierung (um nur zwei der vielen zeitgenössischen Ursachen aus der Nähe der Ausgebranntheit zu nennen) tragen viel zu einer wachsenden „Seelenarmut“ bei.

Man muss sich endlich wieder mehr die Frage stellen, was eine gelungene emotionale Entwicklung ausmacht, wie sie gefördert werden kann und ob sie in unserer Gesellschaft genügend berücksichtigt und unterstützt wird (man denke nur daran, dass Erich Fromm seine diesbezügliche Gesellschaftskritik „Haben und Sein“ schon 1976 veröffentlichte – trauriger Weise fast so gut wie folgenlos für den heutigen Diskurs!). Es kommt also nicht nur auf die Emotionserforschung an: Ihre gesellschaftliche Einbettung ist das sine qua non!3 Eine gesunde Entwicklung und die Möglichkeit emotionalen Auslebens könnten eine mangelhafte rationale Förderung, also fehlende Bildung, im gesellschaftlichen Miteinander und im zivilisierten zwischenmenschlichen Umgang vielleicht sogar ausgleichen. Wobei natürlich im Idealfall beides gegeben sein sollte. Ein Thema, das noch weitaus größerer Reflexion bedarf, auch meiner eigenen.

Wer Lust bekommt, mehr von Earth First! kennenzulernen, der ist herzlich eingeladen, in den mithilfe der Bayerischen Staatsbibliothek digitalisierten Originalausgaben auf dem Environment and Society Portal zu stöbern, und sich selbst ein Bild von den Aktionen, Denkmustern und Kampfmotiven dieser vielfältigen, bunten, in ständiger Selbstfindung und Bewegung befindlichen NGO zu machen. Entdecke Earth First!

Fußnoten:

1 James John Bell "Hayduke, Ecofeminism and Monkeywrenching. The Fighting Words of Earth First!" in Earth First! 23, no. 6 (1. September 2003)

2 Bron Taylor. “Radical Environmentalism’s Print History: From Earth First! to Wild Earth.” The Environment & Society Portal Multimedia Library, August 2013.

3 Man berücksichtige dazu auch Aussagen des Philosophen Byung-Chul Han, der den vorherrschenden, unkritischen und kontext- bzw. anwendungsfernen Positivismus heutiger Forschung anprangert, insbesondere der Geisteswissenschaften.

Literatur:

Taylor, Bron, "Earth First's Religious Radicalism," in Ecological Prospects: Scientific, Religious, and Aesthetic Perspectives, Christopher Key Chapple, ed., State University of New York Press: Albany, 1994. 185-209.

Taylor, Bron, "Earth First!," Encyclopedia of Religion, v. 4, 2nd ed., Lindsay Jones, ed., MacMillan Reference, New York: 2005, 2561-2566.

Bron Taylor. “Radical Environmentalism’s Print History: From Earth First! to Wild Earth.” The Environment & Society Portal Multimedia Library, August 2013. http://www.environmentandsociety.org/node/5647

Naess, Arne, The Shallow and the Deep, Long-range Ecology Movement. A Summary. Inquiry 16, (1973): 95-100.

Earth First! worldwide: http://www.earthfirst.org/